February 14, 2025
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Cui Bono?


Cui bono – wer profitiert? Eigentlich immer eine wichtige Frage, egal um was es geht. Von neuen Gesetzen und Regelungen zu “geilen Angeboten” und natürlich fast jedem nicht persönlichen Status in den Sozialmedien.

Ein junger Mann sprüht Graffiti.

Das Fediverse ist groß und bunt. Dieses Blog ist ein vollwertiges Mitglied in diesem, mit dem Protokoll ActivityPub vernetzten, Netzwerk. Wenn Du dieses Post im Fediverse kommentierst, wird es auch auf dem Blog angezeigt, wenn jemand auf dem Blog antwortet, dann wird das auch auf Deinem Fediverse Frontend angezeigt. Deine Likes und Reposts stehen über diesem Text. Das Gleiche gilt für Fediverse Instanzen, die auf einem der hunderten, fast tausenden, von Systemen laufen (Link ist seit über zwei Jahren nicht mehr auf dem neuesten Stand, sind sogar mehr als da drin stehen).

Also, warum sprechen Menschen immer noch von “Mastodon”, wenn sie Fediverse meinen? Einerseits könnte man uninformierte Ignoranz annehmen. Die Art, wie sie schon in den frühen 2000ern von Microsoft offen forciert wurde, indem sie “Outlook” das Mailprogramm, als “die eMail” hinstellten, und damit mehr oder weniger dafür sorgten, dass “wer Mail will, nimmt Outlook” als Motto in den Chefetagen einzog.

Die typischen User des Fediverse sind aber keine uninformierten Ignoranten. Das wäre zu einfach. Wer profitiert also von der Vermengung von Mastodon (einer Instanz, also einem Server, der ActivityPub Nachrichten versendet und empfängt, wie Dein Mailserver) und dem Fediverse (einem Netzwerk an dem auch Mailprogramme wie Apple Mail, iOS Mail, Android Mail, Spark, elm, pine, und Andere neben Outlook teilnehmen)?

Klar, eine genauso faule Erklärung wäre es, der Mastodon GmbH die “Schuld” zu geben. Immerhin hat Eugen Rochko es geschafft, aus dem Open Source Projekt eine anständige Firma aufzubauen. Ein bisschen Inspiration mag er da von WordPress/Automattic bekommen haben, welche ebenfalls ein in-house OSS Projekt in eine profitable Sache (Matt Mullenweg ist Millionär im dreistelligen Bereich) parlierten. Je mehr Menschen am Fediverse mit Rochko’s Software teilnehmen, desto gesicherter ist sein Einkommen.

Tags (beide Arten)

Aber das ist, wie gesagt, eine faule Erklärung. Kapitalismus? Manchmal, oft, aber nicht immer.

Der Erfolg Twitters lag nicht in seiner weiten Verbreitung. Diese war eher ein glücklicher Zufall, ein Symptom eines anderen ursächlichen glücklichen Zufalls. Ursprünglich twttr genannt, war Twitter nämlich ein SMS-Multiplexer. Also ein Server, welche SMSen die an ihn geschickt wurden, an eine Gruppe von Menschen weiterleitete. SMS haben eine Zeichenbeschränkung (daher auch der Name twttr, da dieses die 5-Zeichen-Limitierung von SMS Shortcodes einhielt). Twitter, der Nachfolger, der zu SXSW 2007 publiziert und sofort heftigst genutzt wurde, behielt diese Zeichenbeschränkung ein.

Grafitti saying “Kill Cops”, a Slogan, not an argument.

140 (und später 280) Zeichen befinden sich in einer Kommunikationszone, die man (wenn man lieb sein will) als “prägnant” oder (wenn nicht) als “Grunzlaute” bezeichnen könnte. Diese Länge bedient statt Diskussion, Interaktion und Wahrheitsfindung, eher Slogans. Eine digitale Version des Tags an der Hausmauer.

Und, passend genug, ist das auch was passierte. Viele der großen und wichtigen Bewegungen der letzten Jahre, sei es MeToo, Black Lives Matter, DieMaskeBleibtAuf, oder der Arab Spring, begannen ihre “Karriere” als Hashtags auf Twitter. Slogans sind ein geniales Werkzeug, um Zugehörigkeit zu signalisieren, Ablehnung und Konsent zu zeigen, und den Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe zu festigen. Mehr so, wenn diese Gruppe “gesichtslos” ist, also geografisch verteilt oder aus Gründen nicht öffentlich in Erscheinung tritt. Hier dient der Tag an der Wand oder der Hashtag nicht nur als digitale Markierung des Reviers, sondern auch als “Du bist nicht allein” für passierende Menschen.

Dadurch, dass Twitter nie das SMS-Zeitalter verließ, wurde es ironischerweise zum Wall Tag des post-SMS Zeitalters.

Cui (wirklich) Bono?

Das spricht besonders die an, denen Diskussion, Wahrheitsfindung und Austausch zur (vielleicht) Anpassung der eigenen Meinung an die Realitäten, eher zuwider ist.

Sei es die “neue Aufmerksamkeitsspanne”, die einige Wissenschaftler auf die Prävalenz von Kurzmedien wie TikTok, Twitter, Instagram, oder Ähnlichem schieben, oder die ganz bewusste Ausnutzung dieser durch Propagandisten und Agitatoren — Twitter bediente sie.

Das Fediverse begann als eine modernere Version des TrackBack/Pingback. Diese Protokolle erlaubten es Webseiten (etwa, und hauptsächlich, Blogs) andere Webseiten zu informieren, wenn über sie gesprochen wurde. Damit blieben Diskussionen vernetzt, man konnte sich also “unterhalten”, die Inhalte blieben aber auf den Systemen der Verfasser und waren damit zumindest von der Zensur Andersdenkender verschont. Natürlich konnte der Empfänger den Verweis auf den Inhalt auf einer anderen Seite löschen, aber den Inhalt selbst nicht.

Silos, also Systeme, in denen alles, Content und Konversation, zentralisiert ist, sind in diesem Hinblick gefährlich, da sie einer Person oder Gruppe, den Betreibern, unendliche Macht über die Inhalte und Konversation geben. Das Fediverse entfernte diese Gefahr, indem es dezentralisiert arbeitete.

So ein vernetztes System kann (fast) alles transportieren. Von Bildern und Videos zu Blogposts und eben auch sehr kurzen Nachrichten der Art Twitter.

Mit den Gerüchten über eine Übernahme Twitters durch den Alt-Right Milliardär Peter Thiel und der späteren wirklichen Übernahme durch den Alt-Right Milliardär Elon “das war kein Hitlergruß” Musk, verwirklichte sich die Gefahr. Menschen wollten nichts mehr, als aus diesem digitalen Killing Floor entkommen.

Das stellt jedoch eine Gefahr für die “andere Seite” dar, die Propagandisten, Agiteure, Marketer, und digital Taggers, die sich an die Leichtigkeit Twitters gewöhnt hatten. In Konversation und Diskussion entstehen oft Kompromisse, die radikalen Enden werden eingeschränkt. Das mag nicht jeder Person passen. Zum Glück gab es Mastodon.

Im linken Seitenrand, und stark eingeschränkt

Mit einer Fabrikeinstellung von 500 Zeichen und einer Eingabebox, die nicht prominent und sehr unpraktisch platziert ist, lädt Mastodon zu Slogans, zum digitalen Wand-Graffiti, ein.

Intelligenter Diskurs wird so aktiv entmutigt, fast sogar abgeschreckt. Zwar gibt es alternative Frontends für Mastodon, wie Phanpy oder Elk, diese beheben diesen Missstand aber nur für den Schreiber, Mastodon’s UI und UX sind auch für das lesende Publikum eher unschön, wenn es mehr als zwei Paragrafen gibt.

Damit wird aus dem meistgenutzten Fediverse-Teilnehmer Mastodon zwar auch “Twitter ohne Musk” aber eben auch ein spiritueller Nachfahre des Systems, in dem es nie um Konsens oder Kommunikation und immer um digitale Slogans an Hauswänden ging.

Conclusio Dramatis

Dieser Artikel hat (an diesem Punkt) 1000 Wörter und eine Lesezeit von fünf Minuten. Ein typischer Mastodon-Status könnte in dieser Zeit mindestens zwölfmal konsumiert werden. Als Vehikel für Zusammenhalt, Zustimmung, und vor allem Konsum, ist das Letztere geeigneter. Als Werkzeug zu einer besseren Welt, in der Konversation statt Slogans und statt Aufklärung statt Propaganda vorherrschen, eher weniger.

So, wer profitiert?

Demagogen und Agitatoren, die ihre “native” Heimat an einen anderen Demagogen und Agitatoren verloren haben. Als Digital Expats sind sie es, die die alten Strukturen und Machtwerkzeuge einer aus Hashtags und Parolen bestehenden Kultur aufrechterhalten wollen, in der Konsumenten als dümmer und damit mit Argumenten nicht erreichbar abgestempelt werden.

Es geht nicht um Konsens und gewaltfreie Kommunikation, sondern ausschließlich um das Bauen von Wagenburgen, in welchen tagein, tagaus, das Mantra gegrölt wird, zum Schutze gegen “die da draußen” und zum gegenseitigen Aufputschen für die kommende Schlacht.

Der Tag an der Hauswand, die digitale Version eines “LGBTQ+ Welcome” Stickers am Ladeneingang, ist wichtig. Sie zeigt “Du bist nicht alleine” und dass es hier sicher ist. Sie macht Mut. Als Waffe hilft sie den Demagogen aber auch die Komplexitäten eines Sachverhalts so zu reduzieren, dass es keine Zweifel geben kann. Und da sie ein Mutmacher ist, haben diese Demagogen ein mächtiges Mittel in der Hand: Kritik an ihrer Arbeit kann schnell zur Kritik a sicheren Spaces und am Mutmachen umgemünzt werden.

In ihem Space können Agitatoren Behauptungen aufstellen, die nicht von Nachweisen gedeckt werden müssen. Diskurs ist schwierig und langwierig..Wie dieser Artikel. Den, Science says, weniger als 2 Prozent aller Menschen die ihn angezeigt bekommen haben, auch gelesen haben. Slogans sind einfacher zu formulieren und zu konsumieren.

Slogans schließen die Reihen. Aber sie bringen keine neuen Gesichter in den Mix, erlauben keine Diskussion und vernichten jede Hoffnung auf Zusammenstehen statt Kampf. Wie Dostojewski über den Russo-Türkischen Krieg schrieb: “Flaggen sind Kriegswerkzeuge im Krieg und Heimat im Frieden”. Hätte auch “Slogans” schreiben können, das kam aber erst, in einer etwas umschweifigen Version, von Orwell.

Die, die Mastodon mit dem Fediverse gleichsetzen wollen, wollen Kriegsmittel. Nicht Wissenschaft, Kommunikation, Information und gegenseitigen Respekt und Aufeinanderzugehen. Erst wenn wir “Fediverse” von “Mastodon” lösen, anerkennen dass es einen Platz für kurze Statusmeldungen und Slogans gibt, aber auch Plätze für mehr geben muss, kann das Fediverse das sein, was es sein könnte: vielleicht wirklich das nächste Menschenkapitel einer Aufklärung / Renaissance, an derem Ende eine bessere Welt steht.

Die “andere Seite”, die Freunde der Kurznachrichten-only arbeitet (und ist erfolgreich dabei) gerade am Gegenteil.


BibTeX:

Mikka. "Cui Bono?." mikka.md, February 14, 2025. https://mikka.md/2025/02/14/cui-bono/
@article{118132998,
author = {Mikka},
title = {Cui Bono?},
journal = {mikka.md},
year = {2025},
url = {https://mikka.md/2025/02/14/cui-bono/}
}

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Comment

  1. Hallo @mikka Da ich im Fediverse die Meldung nicht absetzen kann, hier als Kommentar.

    Danke.

    dazu noch zwei Sachen.
    ein besserer link zu Diensten im Fediverse: https://codeberg.org/fediverse/delightful-fediverse-apps#user-content-events-and-meetups

    Zu dem anderen, ich hatte da gestern auch eine Diskussion, warum alle Kampanien die laufen, nur darauf abzielen, Menschen udn Kontne zu Mastodon zu bringen?

    https://moppels.bar/notes/a47fmo7ovcclm8wv

    Du hast es noch besser formuliert 👍

Wichtiger Hinweis: ich bin nicht Dein Arzt. Und medizinischer Rat im Internet ist immer scheiße, egal, wer ihn gibt. Alle medizinischen Inhalte auf dieser Seite sind also, ganz und gar, und ohne Ausnahme, zur Belustigung, Diskussion und Bildungszwecken gedacht, nicht als medizinischer Rat.