Eva Saxl, 21. Januar 1921
Geboren in das Ghetto von Prag, erlebte sie die Machtergreifung der Nazis. Da sie um ihr Leben fürchten musste, floh sie mit ihrem Mann Victor nach Shangahai, wo sie ein Jahr später, 1941 mit Typ 1 Diabetes diagnostiziert wurde.
T1D war im Jahr 1941 nicht mehr das Todesurteil, das es noch in jüngster Vergangenheit gewesen war. Im Jahr 1921 erprobte der Mediziner Frederick „Fred“ Banting zum ersten Mal Insulin an einem sterbenden Kind, welches binnen Minuten aus dem diabetischen Koma erwachte.
Zwanzig Jahre später und, perfider Weise, nur Tage nachdem Banting bei einem Einsatz über dem Nordatlantik als Offizier der US-Streitkräfte ums Leben gekommen war, wurde Eva Saxl mit Typ 1 Diabetes diagnostiziert.
Bei T1D greift das körpereigene Immunsystem fälschlicherweise die in der Bauchspeicheldrüse bestehenden β-Zellen an. Diese produzieren Insulin und Amylin, welche beide für die Blutzucker-Verwendung im Körper verantwortlich sind. Insulin signalisiert den Zellen, dass es jetzt okay ist, Zucker aus dem Blut aufzunehmen. Ohne Insulin nehmen Zellen keinen Zucker auf, der Blutzucker steigt, und der Körper verhungert, obwohl er von Zucker umgeben ist.
Zuerst sah alles gut aus. Insulin war in Shanghai erhältlich, und der chinesische Apotheker um die Ecke war einer der wenigen, der auch an Ausländer und, besonders, Juden verkaufte. Aber schon wenige Wochen später kam alles anders: Japan überfiel die USA und begann seinen Schreckenszug in Richtung China. Shanghai kam sehr schnell unter japanische Kontrolle, Insulin war nicht mehr erhältlich.
Für wenige Monate konnten die Saxls sich noch mit den von ihnen nach China geschmuggelten Goldbarren auf dem Schwarzmarkt Insulin besorgen, aber auch diese Quelle trocknete bald aus. Eva kaufte alles, was noch verfügbar war, und stellte am Abend fest, dass sie, sollte der Krieg nicht enden, weniger als ein Jahr zu leben hatte.
Es blieb also nur ein Weg: selbst herstellen. Das 1928 erschienene Buch “Handbuch der Inneren Medizin” von Bergmann et al, hatte eine ausführliche Beschreibung des Prozesses, welchen Banting zur Extraktion des Insulins aus dem Pankreas eines Hundes genutzt hatte. Victor und der chinesische Apotheker begannen die Extraktion an Wasserbüffeln, von welchen es viele in der Nähe des jüdischen Gettos, in welchem die Saxls lebten, gab.
Die ersten Chargen waren von einer wolkigen, braunen, Konsistenz. Eva erprobte deren Wirksamkeit an Hasen, welche sie mehrere Tage auf Anzeichen eines Unterzuckers, und damit eines wirksamen Präparats, observierte. Ohne Messgeräte war das der einzige Weg, überhaupt zu sehen, ob das Mittel sicher und wirksam war.
Erschwerend kam noch dazu, dass Eva Saxl die meisten Chargen ihres Insulinvorrats entweder zur Kreuzstudie an den Hasen verwandte oder an zwei Kinder im Getto weitergab, welche ebenfalls T1D waren und von welchen der ältere bereits in ein diabetisches Koma gefallen war.
Ende 1941 erprobte Saxl das Mittel zuerst an ihr selbst. Sie war seit Tagen ohne Insulin und hart an der Schwelle zur diabetischen Ketoazidose, welche schnell zu Koma und Tod führen würde. Es funktionierte.
Über die nächsten Monate und Jahre versorgten die Saxls das Getto mit Insulin aus den Bauchspeicheldrüsen der Wasserbüffel. Es ging nicht immer gut, und ein Freund Evas starb, nachdem er eine verunreinigte Charge spritzte. Trotzdem retteten Eva’s Spritzen wohl nicht nur ihr sondern dutzenden bis hunderten von Menschen in China das Leben.
Nach dem Ende des Krieges zogen sie in die USA, wo Victor bei den neu gegründeten Vereinten Nationen angestellt wurde. Eva freundete sich mit mit Dr. Joslin, dem Vater und Pionier der Diabetologie and und hielt Vorträge und Informationsveranstaltungen für neue T1D diagnostizierte Kinder und Jugendliche.
Eva verstarb 2002 in Santiago de Chile, wohin sie 1968 nach dem Tod ihres Mannes gezogen war.
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Cite As (NEJM):
- Mikka. "Eva Saxl, 21. Januar 1921." mikka.md, January 21, 2025. https://mikka.md/2025/01/21/eva-saxl-21-januar-1921/
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